Pfarrer Matthias Leithe: Gedankliche Freiheit, geistige Unabhängigkeit

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„Miteinander, füreinander da sein“: Matthias Leithe ist Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Ratingen. Foto: privat

(mmm) Weihnachten feiert Matthias Leithe, Pfarrer der ev. Kirchengemeinde Ratingen, natürlich in der Kirche. Gleich drei Gottesdienste sind es am Heilig Abend (15.30 Uhr Familiengottesdienst, 17.30 Uhr Christvesper mit Jazzmusik in der Versöhnungskirche, 23 Uhr Christmette Stadtkirche Mitte), zwei weitere folgen am 1. Weihnachtstag (9.30 Uhr Versöhnungskirche, 11 Uhr Paul-Gerhardt-Kirche). Bis 2023 lag der Lebens- und Arbeitsschwerpunkt des 61-Jährigen überwiegend in Ratingen West. „Dass dort sehr viele Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenleben, habe ich immer als eine besonders schöne Herausforderung erlebt.“ Seit geraumer Zeit hat sich mein Arbeitsfeld erweitert. Nachdem die Pfarrbezirke der ev. Kirchengemeinde Ratingen zusammengelegt wurden, arbeitet Leithe auch in den Stadtteilen Mitte, Süd und Tiefenbroich.

„Unsere Gemeindemitglieder werden weniger. Wir suchen daher intensiv nach Möglichkeiten, die Strukturen an diese Situation anzupassen. Dabei ist es uns wichtig, dass die Nähe zu Menschen gewahrt bleibt und positive Begegnungen zwischen Menschen gestärkt und gefördert werden“, erklärt Leithe. Es sei wichtig, dass die Gemeinde ein Ort bleibe, an dem Glauben aktiv praktiziert werden könne, Seelsorge gelebt werde und eine zeitgemäße Verkündigung Orientierung und Zuspruch schenke. „Uns ist bewusst, dass das Aufgaben sind, die wir zukünftig nur in Kooperation mit anderen Gemeinden in der Region und im Kirchenkreis werden lösen können. Solche Veränderungsprozesse sind anstrengend, aber es gibt kaum sinnvolle Alternativen“, spielt Leithe auch auf die begonnenen Überlegungen an, dass sich die Kirchenkreise aus Solingen, Düsseldorf-Mettmann und Niederberg zusammenschließen, um die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam anzugehen. „Ich hoffe sehr, dass es so kommen wird. Die Gespräche sind vielversprechend. Denn auch auf Kirchenkreisebene werden wir die Strukturen an sich ändere Rahmenbedingungen anpassen müssen.“

Der biblischen Botschaft eine Sprache geben

Seine wichtigsten Aufgaben als Pfarrer in Ratingen, die Seelsorge und Verkündigung, bleiben davon unberührt. Mit Seelsorge meint er die geistliche und emotionale Begleitung von Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen. „Seelsorger zu sein bedeutet für mich, ein offenes Ohr zu haben, Sorgen zu teilen, zuzuhören, dabei zu bleiben, sich Zeit zu nehmen.“ Und Verkündigung? „Das bedeutet für mich, der biblischen Botschaft eine Sprache zu geben, die der heutigen Zeit entspricht. In Wort, Kunst und Musik versuche ich das immer wieder neu mit Anderen umzusetzen. Im Reden und Hören, im Nachdenken und Verstehen die Botschaft Jesu als Parteinahme für Menschen und Menschlichkeit erlebbar zu machen, gehört zu meinen schönsten Aufgaben.“ Das müsse aber kein Gottesdienst sein. Verkündigung könne genauso in Form einer Kunstausstellung, eines Konzertes, oder eines Medienbeitrages geschehen. Zu den klassischen Aufgaben der Verkündigung und Seelsorge gehört zudem die Diakonie sowie Angebote in der Kinder- und Jugendarbeit.

Beruf oder Berufung? Leithe fasste bereits als Schüler den Entschluss, Pfarrer zu werden, geprägt vor allem durch seinen Großvater Martin Fischer. Fischer war Theologe und ein Mann der Bekennenden Kirche im Wiederstand gegen Adolf Hitler. „Er erzählte mir, wie er und Freunde wie Dietrich Bonhoeffer und andere durch ihren Glauben Mut und Kraft fanden, den Nationalsozialisten zu widerstehen. Ich erlebte diese Menschen als geistig unabhängig und frei.“ Das prägt Leithe bis heute: „Freiheit und Unabhängigkeit im Denken und Handeln zu erlangen und zu behalten, ist immer noch mein größtes Lebensziel!“ Sein Lebensmotto: „Miteinander, füreinander da sein.“ Leithe sieht sich „als Mensch unter Menschen“, der das Leben immer wieder neu entdeckt. „Man wird nie fertig. Es gibt immer wieder viel zu entdecken und neu zu verstehen.“ Die Basis von allem sei das Wort von der Liebe zu Gott und den Menschen. „Zentral ist die Botschaft Jesu und sein Auftrag an uns, für Menschen und die Menschlichkeit einzustehen.“

Leithe, der in Düsseldorf-Urdenbach aufgewachsen ist und sein Abitur Mitte der 1980er Jahre am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Hilden machte, kam 2001 nach dem Studium der Theologie über Stationen in Köln und Düsseldorf als Pfarrer nach Ratingen. „Für meine Familie und mich ist Ratingen unser Zuhause.“ Heimat sei für ihn aber weniger ein Ort als eine emotionale Zugehörigkeit: „Meine geistige Heimat ist die deutsche Sprache. Meine geistliche Heimat ist die reformatorische Theologie und die evangelische Kirche. Sie geben mir gedankliche Freiheit und geistige Unabhängigkeit. Sie machen kritisch und zugleich gelassen, sie stärken mein Gefühl, angenommen und geborgen zu sein.“