
Der Ratinger Kammerchor ist eine musikalische Institution, die weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist. Seit dem vergangenen Jahr ist Kaling Hanke die künstlerische Leiterin des Meisterchors im Chorverband NRW.
Die Tonmeisterin und Dirigentin erzählt im Interview mit Matthias M. Machan von der Suche nach dem perfekten Klang und dem Besonderen im Ausdruck. In den letzten Jahren war sie als Tonmeisterin für renommierte klassische Labels sowie für Produktionen für WDR und Deutschlandfunk meist hinter sündhaft teuren Mikrofonen zu finden, nun ist sie zusammen mit den Sängerinnen und Sängern des Ratinger Kammerchors auf einer weitläufigen Reise durch die wunderbaren Welten der Chormusik.
Liebe Kaling Hanke, wann können wir den Ratinger Kammerchor wieder live auf der Bühne erleben?
Unsere nächsten Konzerte finden am 4. Juli und 6. September statt. Sie tragen den Titel „Torrents“ und beschäftigen sich mit dem Thema Wasser in vielen Facetten, beispielsweise als Quelle des Lebens und Lebensstrom. Zu hören sein werden Werke von Brahms, Hindemith, Schütz und – darauf freue ich mich persönlich besonders – auch wunderbare Werke von Elgar, die selten aufgeführt werden. Auch die zwei Adventskonzerte stehen bereits fest, sie werden am 3. Adventswochenende stattfinden.
Was ist die künstlerische DNA des Ratinger Kammerchores?
Der Ratinger Kammerchor hat sich als besonderen Schwerpunkt die Pflege der weltlichen und geistlichen Chormusik für kleinere Besetzungen zur Aufgabe gemacht. Dem Chor ist es ein besonderes Anliegen, auch weniger bekannte und gesungene Werke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Hierzu gehören besonders Kompositionen des 20. Jahrhunderts und Uraufführungen von Werken zeitgenössischer Komponisten. Aktuell haben wir rund 30 Sängerinnen und Sänger. Im vergangenen Jahr hatten wir nach unseren Konzerten und einer offenen Probe großen Zulauf, worüber wir uns sehr freuen.
Sie haben im vergangenen Jahr ein neues Kapitel beim Ratinger Kammerchor aufgeschlagen und Dominikus Burghardt, der den Chor als künstlerischer Leiter über 20 Jahre erfolgreich geleitet und geprägt hat, beerbt. Wie wurden Sie vom Chor aufgenommen? Hatten Sie Bammel vor den ersten Proben?
(lacht). Ich glaube jeder Dirigent ist vor der ersten Probe mit einem neuen Orchester oder Chor aufgeregt. Der Chor hat mich sehr herzlich aufgenommen und alle sind offen für neue Wege und Ansätze. Indes: Ich habe mir im Vorfeld schon ein wenig Gedanken gemacht: Überzeuge ich den Chor mit meiner Art oder nicht? Es ist wie eine Beziehung, es muss einfach passen.
Was ist als Chorleiterin ihr künstlerischer Anspruch?
Mir ist wichtig, dass ein Chor gut ausbalanciert ist und eine große Dynamikbandbreite aufweist. Er sollte viele Farben besitzen, um die unterschiedlichsten musikalischen Schattierungen ausdrücken zu können. Ich nehme mir gerne die Zeit, auch die Einzelstimmen kennenzulernen, um sie in der Gruppe möglichst vorteilhaft zu platzieren. Ganz wichtig: Die Freude an der Musik darf trotz der Arbeit nicht zu kurz kommen. Das ist schließlich die Essenz die uns alle zusammenbringt.
Hauptberuflich arbeiten Sie als freie Tonmeisterin im klassischen Segment, nehmen CDs für Labels auf, arbeiten für Produktionen des Rundfunks, wie WDR oder Deutschlandfunk. Sie sind Tonmeisterin und Chorleiterin. Wie also kann die Chorleiterin von der Tonmeisterin profitieren?
Beide Berufe sind sich unglaublich ähnlich, beide arbeiten in der Probe und bei Aufnahme an der Musik, versuchen zusammen mit den Musikern ein perfektes Konzerterlebnis, eine perfekte CD zu kreieren. Für mich gibt es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Der größte ist, dass der Dirigent vom Publikum zu sehen ist, während der Tonmeister im Hintergrund arbeitet.
Als Tonmeisterin erfüllen Sie die musikalischen Visionen anderer, als Dirigentin gestalten Sie selbst aktiv die Musik. Was hat den größeren Reiz?
Natürlich genieße ich den Applaus des Publikums in einem Konzert, aber genauso freue ich mich wenn ich hochkonzentriert mit meinen Musikern an Details feile. Ich möchte keine der beiden Seiten missen.
„Ich genieße auch die Stille“
Was hört Kaling Hanke privat?
In meiner Freizeit höre ich fast alles: von Pop & Rock über Jazz hin zu Metal und Renaissance. Allerdings genieße ich die Stille und freue mich, auch mal nichts zu hören.
Können Sie eigentlich unvoreingenommen Musik hören?
Im Studium ging das fast gar nicht. In jedem Konzert habe ich nur drauf gehört, was nicht zusammen war, welche Akkorde nicht sauber genug waren oder warum ein Einsatz des Dirigenten nicht zusammen mit dem Orchester war. Inzwischen kann ich mich aber auch einfach zurücklehnen und das Konzert genießen. Das ist deutlich schöner!
Von der Staatsoper Hannover nach Ratingen: Wie kam es dazu?
Das Leben als angehende Kapellmeisterin bzw. Dirigentin an der Oper ist wirklich hart. Um Aufzusteigen wechselt man im Schnitt alle drei bis fünf Jahre die Stadt. Da ich aber auch eine Familie, mit der ich in Wuppertal lebe, haben wollte und nicht mit Kind durch die gesamte Republik tingeln möchte, habe ich mich entschieden, wieder zu meinem alten Beruf zurückzukehren. Es war für mich definitiv die richtige Entscheidung, über die ich mich bei jeder Chorprobe freue.
Was ist Ihre persönliche musikalische Handschrift?
Ich versuche das Beste aus den Musikern heraus zu kitzeln. Dabei unterscheide ich nicht zwischen Profis und Laien. Wenn die Motivation stimmt und die Geduld sowie der Wille da ist kann man unglaublich viel erreichen.
„Musik wächst und reift mit dem Interpreten“
Wann ist ein musikalisches Werk für Sie perfekt – geht das überhaupt?
Perfektion kann man meiner Meinung nach nur in bestimmten Bereichen erreichen: Intonation, gemeinsames Einsetzen, Atmen und Enden. Musikalische Perfektion ist sehr subjektiv. Eine Interpretation ist immer eine Momentaufnahme, etwas was mir im Alter von 20 gefiel, muss mir mit 40 nicht mehr gefallen. Das ist auch das Interessante an Musik, sie wächst und reift mit dem Interpreten.
Welche aktuellen Projekte beschäftigen Sie?
Als Tonmeisterin arbeite ich mit dem „Alinde Quartett“ und vervollständige zudem die „Schubert 2028 CD Box“ mit allen Schubert Streichquartetten, die 2028 zu Schuberts 200. Todesjahr bei Hänssler Classics erscheinen wird. Außerdem sitze ich an einer wunderschönen CD mit Christoph Hammer und Daniel Johannsen mit originalem Hammerklavier und Liedern von teilweise vergessenen Komponisten aus Mozarts Zeiten.
Als Dirigentin freue ich mich derweil darauf, einen zweiten Chor zu übernehmen. Mit dem Konzertchor Wuppertal werden wir wie in Ratingen ein neues Kapitel aufschlagen. Ich denke, dass die Arbeit mit den zwei Chören, die sich im Repertoire teilweise sehr unterscheiden, äußert interessant sein wird.
Was sind aktuell die größten Herausforderungen?
Persönlich sehe ich es als die größte Herausforderung, die Lücken, die Corona in die kulturelle Veranstaltungslandschaft gerissen hat, zu schließen. Es gibt spürbar weniger Veranstalter. Und auch das Publikum ist noch nicht so konzertfreudig wie vor Corona. Außerdem würde ich mich freuen, wenn wir für den Ratinger Kammerchor noch ein paar engagierte und singfreudige Männer gewinnen könnten.
Ihr Lieblingsplatz in Ratingen?
Der Marktplatz! Ich liebe sein Flair.
Ihr bislang schönster Gastronomie-Besuch in Ratingen?
Das traditionelle Weihnachtsschmausen mit dem Chor 2024 im „Marlou“.
Was schätzen Sie an Ratingen und seinen Bewohnern?
Die Offenheit! Meine Konzertprogramme und meine Moderationen sind ganz anders als die von meinem Vorgänger. Das Publikum hat mich mit offenen Armen aufgenommen!
Ratingen braucht unbedingt noch …
… die Info, dass der Ratinger Kammerchor mit noch mehr Engagement dabei ist und hofft, noch mehr Ratinger mit unseren Konzerten zu begeistern.